Toast Hawaii – oder: Das Abendessen

Eine vergleichsweise großformatige Miniatur

Schon eine ganze Weile trug ich mich mit diesem Gedanken, wendete ihn einige Male hin und her, brütete ihn gewissermaßen ein paar Wochen lang aus. Ich plante, eine Handvoll sorgsam ausgewählte Bekannte zu mir nachhause zum Abendessen einzuladen. Auf diesem Gebiet war ich kein Anfänger: ich richtete regelmäßig derartige Soireen aus, zuletzt vor kaum zwei Jahren.

Also ging ich in einem ersten Schritt mein Adressbuch durch, denn die richtige Zusammenstellung der Gäste war im Grunde genommen der wichtigste Faktor für ein gutes Gelingen. Schon immer legte ich Wert auf Diversität. Eine gute Mischung mit Blick auf die Haarfarbe, den Wuchs und den Beruf war unbedingt anzustreben. Da war es nur folgerichtig, zuerst eine Zufallsbekanntschaft zu kontaktieren, einen jungen Arzt namens Ferry Fischbein, mit dem ich kürzlich im Café ins Gespräch gekommen war. Ich forderte ihn auf, seine Verlobte mitzubringen, und er willigte prompt ein.

Ich setzte mein Bemühen bei Jean-Luc Ochsenbogen fort, einem kleinen, ein wenig dicklichen Neurologen. Er sagte sofort zu, genau wie meine Zahnärztin Steffi Schnellsilber. Beide waren meines Wissens nach nicht liiert, was dem Ganzen eine gewisse geschlechtliche Würze verleihen könnte, so dachte ich.

Am längsten zögerte ich bei der Urologin Ines ter Stek und ihrem Mann Sepp, dem Postboten meines Viertels, mit dem ich eine enge Bekanntschaft pflegte. Er war zwar kein Arzt – aber dann dachte ich nachsichtig und still bei mir: na gut, das bin ich selbst schließlich auch nicht. Und so komplettierten die ter Steks schließlich die Runde.

Ich war stolz auf die Komposition dieser kleinen, aber feinen Gesellschaft aus interessanten Persönlichkeiten. Uns einte ein gemeinsames Interesse, was hochklassige Gespräche versprach: Mit allen sprach ich gern über die aktuelle Befindlichkeit. Natürlich gab es Unterschiede in den Nuancen: Fischbein und Ochsenbogen fragten meist »wie geht es?«, während Schnellsilber zu »geht es gut?« tendierte, und die ter Steks meist einem knappen »alles gut?« den Vorzug gaben. Kurz und gut, ich blickte dem Abend mit einiger Spannung entgegen.

Bei einer Internetdruckerei ließ ich edel wirkende Einladungskarten drucken. Einladung zu einer formlosen Abendsoiree. Es erwartet Sie ein feines Ein-Gänge-Menü mit nostalgisch-kulinarischen Anspielungen. Um pünktliches Erscheinen wird gebeten. Mit den eingestanzten Goldlettern war ich nicht unzufrieden.

Von Hand schrieb ich die Uhrzeiten auf die Einladungen und signierte sie. Da ich aus vergangenen Fehlern gelernt hatte, bestellte ich Steffi Schnellsilber auf 19 Uhr 15, Sepp und Ines auf 19 Uhr 30, Jean-Luc auf 19 Uhr 55 und Ferry auf 20 Uhr 15 in meine Wohnung.

Bitte lassen Sie mich mein Vorgehen kurz erläutern. Einmal hatte ich eine Geburtstagsfeier ausgerichtet, und die halbe Stunde, in der die Gäste eintrafen, war die anstrengendste und aufwühlendste halbe Stunde meines Lebens gewesen. Ununterbrochen ging die Türglocke, mit niemandem konnte ich mich in Ruhe unterhalten. Begrüßungen und Glückwünsche und Fragen nach den Ablagemöglichkeiten der Garderobe hatten einander in loser, aber hektischer Folge gejagt. Völlig erschöpft hatte ich etwa eine Stunde später die Party für beendet erklärt, was mir damals viel Kritik einbrachte und woraufhin ich einige meiner Freunde verlor. Das sollte mir nicht noch einmal passieren.

Nicht weniger Sorgfalt als auf die Einladungen und die Uhrzeiten verwendete ich auf die Zusammenstellung des Menüs und den Einkauf der Zutaten. Nach einem kurzen inneren Zwiegespräch einigte ich mich mit mir auf Toast Hawaii als Haupt- und einzigen Gang. Zufällig hatte ich bereits alle Zutaten zuhause vorrätig.

Der Tag der Wahrheit rückte näher – der Tag an dem sich zeigen sollte, ob ich noch immer derselbe begnadete Gastgeber wie in meiner goldenen Ära war.

Pünktlich klingelte es an der Tür. Ich ließ eine, höchstens drei oder vier Minuten verstreichen, bevor ich mich aus meinem Sessel erhob und öffnete. Steffi Schnellsilber stand im Treppenhaus und studierte die Klingelschilder der Nachbarwohnungen. Sie sah ein wenig verwirrt aus. Wenig überraschend angesichts der winterlichen Kälte trug sie eine grellfarbige Funktionsjacke, darunter ein schlichtes silbernen Kleid und eine Perlenkette.

Sie trat ein und wollte sich bereits die Schuhe ausziehen, aber ich forderte sie großzügig auf, diese doch anzubehalten. Ich hatte seit zwei Wochen nicht mehr gesaugt und nicht mehr gewischt, was ich ihr natürlich nicht verriet. Man sah es kaum. Man sah es höchstens, wenn man etwas genauer hinsah.

Ich bat die Schnellsilber in die Küche, wo ich mit einem routinierten Handgriff die Heizung aufdrehte. Ich hatte den ganzen Tag in meinem Wohnzimmer verbracht, daher war es kalt in der Küche. Sie hielt noch immer jene Flasche Rotwein in Händen, die mir bereits bei ihrem Eintreten positiv aufgefallen war. Sie sah sich hilfesuchend um, aber mir war nicht klar, weshalb.

»Magst du dich vielleicht setzen?« fragte ich. Sie nickte, und ich deutete auf einen der beiden Stühle am Küchentisch. »Warte kurz«, fuhr ich fort, »ich wische eben noch schnell den Tisch ab.« Mir fiel auf, dass wir uns auf einmal duzten, und ich war mir nicht sicher, wer damit angefangen hatte. Um so besser, dachte ich, das lockert die Atmosphäre doch merklich auf.

Wir machten ein wenig Konversation, und es dauerte nicht lange, bis die Zeit wie im Flug verging. So merkten wir kaum, wie die Küchenuhr 19 Uhr 30 und bald 19 Uhr 35 anzeigte. Ines und Sepp ter Stek waren bereits fünf Minuten über die Zeit. Die Uhr zeigte 19 Uhr 40 und ich fing an, ein wenig nervös zu werden. Schließlich klingelte es. Mitten im Satz sprang ich auf und stürmte zur Tür. Ich verließ die Wohnung und lief die Treppe nach unten, den ter Steks entgegen.

»Ihr seid zu spät«, rief ich. »Ist aber nicht weiter schlimm. Das ist mir auch schon passiert. Kommt bitte, ich wohne im dritten Stock.« Ines sah mich erstaunt an, und ich fragte mich, was wohl der Grund ihres Erstaunens sein mochte. Vielleicht hatten die ter Steks ein sonderbares Erlebnis auf dem Weg hierher gehabt, so dachte ich, bevor ich die beiden in meine Wohnung bat.

In der Küche machte ich die Gäste miteinander bekannt. »Setz’ dich schon mal, Ines«, sagte ich, und deutete auf den freien Stuhl. An Sepp gewandt fuhr ich fort: »Ich bringe gleich die weiteren Stühle. Du kannst ja solange an der Anrichte stehen bleiben. Es dauert nur einen kurzen Moment.«

Sepp lachte.

»Und bitte entschuldigt mich noch einen Augenblick«, fügte ich hinzu. »Ich lese gerade einen recht spannenden Krimi. Ich muss eben noch schnell das Kapitel zu Ende lesen, bin dann aber sofort bei euch. Also, dann lass’ ich euch mal. Und Sepp, eines noch: könntest du bitte die Tür öffnen, wenn es klingelt? Jean-Luc müsste gleich kommen.« Mit diesen Worten zog ich mich zurück.

Als es klingelte, vernahm ich Sepps Schritte und hörte, wie er Jean-Luc in Empfang nahm. Das läuft ja wie am Schnürchen, dachte ich befriedigt. Es war mir wichtig, dass meine Gäste sich wie zu Hause fühlten, sich zwanglos benahmen, ihre Befangenheit am Eingang ablegten. Ein Übermaß an Förmlichkeit tötet jede Spontaneität, und ich war froh, dass heutzutage eine gewisse Lockerheit an die Stelle der überkommenen Steifheit vergangener Jahrzehnte getreten war.

Mein Krimi fesselte mich so sehr – kaum nahm ich wahr, wie es noch einmal klingelte und wie Sepp die Fischbeins einließ, auch ohne meinen entsprechenden Auftrag. Dieser Teil des Abends war also bereits geglückt. Ich war äußerst zufrieden.

Als ich in die Küche zurückkehrte, war die Abendgesellschaft bereits vollzählig versammelt. Fischbein und Ochsenbogen trugen Hemd und Schlips, nun gut, ich konnte es ihnen nicht verdenken, denn während der Ausübung ihres Berufs hatten sie unter ihrem Arztkittel ja wenig Gelegenheit, ihre Krawatten zu zeigen. Wobei, wer trug denn bitte heute noch Krawatte?

Ferrys Verlobte und Ines waren ebenfalls in Abendgarderobe. Ich selbst trug ein kurzärmliges Hawaiihemd und war daher froh, dass es in der Küche langsam warm zu werden schien. Sepp trug seine Postbotenjacke offen über einem roten Wollpullover mit V-Ausschnitt, so dass man sein hervorquellendes Brusthaar sah. Rot war doch eigentlich mir als dem Gastgeber vorbehalten. Ich nahm mir vor, ihn später kurz beiseite zu nehmen und unter vier Augen auf seinen Fauxpas aufmerksam zu machen. Aber das eilte nicht.

»Schön, dass ihr alle da seid«, sagte ich. »Bitte verzeiht meine Ungehobeltheit, wenn ich euch erst jetzt darum bitte, aber könntet ihr bitte eure Schuhe ausziehen?«

Alle taten wie geheißen. Sie wussten allerdings nicht so recht, wohin mit ihren Schuhen. Schon wollte ich sagen: »Und jetzt, bitte wieder anziehen«, aber ich verzichtete auf diesen Scherz, wenngleich er sicher gut angekommen wäre.

Ich blickte erneut auf die Küchenuhr. Es war erst halb neun. Das war gut, der ganze Abend lag noch vor uns. Vorfreude ergriff mich, wurde aber jäh unterbrochen.

»Könnte ich vielleicht etwas zu trinken haben?« fragte Sepp und verstieß damit bereits zum zweiten Mal gegen die Etikette.

»Ja klar«, sagte ich mit einem strafenden Blick. Aber ich unternahm nichts.

Er hielt meinem Blick stand. »Also?« sagte er, und für mich klang es fast ein wenig fordernd.

Dennoch machte ich gute Miene zum bösen Spiel und rief fröhlich in die Runde: »Ich schlage vor, dass wir mit einem Aperitif starten. Wer möchte einen Aperitif?«

Sofort erreichten mich Laute der Zustimmung. Ein wenig mehr Zurückhaltung hätte ich mir von meinen Gästen eigentlich schon gewünscht. Auf der anderen Seite registrierte ich erfreut, dass der Abend nun Fahrt aufnahm.

»Was hast du denn?« fragte Ferry.

»Lass mich mal nachsehen«, sagte ich und ging zum Kühlschrank. Leider fand ich dort nichts, was ich hätte anbieten können. Es gab zwar eine Flasche Champagner, die ich einmal bei einer Tombola gewonnen hatte, aber es wäre mir übertrieben, ja unfein vorgekommen, diese anzubieten. Vergebens suchte ich nach Weißwein, Prosecco, Säften. Selbst Bier war keines mehr im Kühlschrank, denn das letzte hatte ich am Vorabend selbst getrunken. Im Eisfach sah es nicht besser aus. Dort lag noch eine Flasche Gin, diese war allerdings leer. Und ich bemerkte, dass ich auch keine Eiswürfel mehr hatte.

Da fiel mein Blick auf die Flasche Aperol auf dem Küchentisch. Ich war mir sicher, dass ich sie nicht dort hingestellt hatte. Vermutlich hatte sie einer der Gäste mitgebracht.

»Ich habe natürlich Aperol«, sagte ich leichthin.

»Hast du Weißwein oder Prosecco? Am besten auch Eis?« fragte Steffi Schnellsilber. Ihr Tonfall war überaus mondän: »Dann machen wir Sprizz.«

»Leider nicht«, sagte ich. »Kein Eis, kein Weißwein, kein Prosecco. Wir trinken ihn einfach so, wie man ihn auf dem Apennin auch trinkt – in der Variante beyond the rocks, wie man dort so schön sagt. Das bedeutet: Pur und ohne Eis. Wer möchte?«

Alle sahen mich an, aber niemand hob die Hand. Ich beschloss, mit gutem Beispiel voranzugehen. »Also ich für meinen Teil nehme so einen Aperol beyond the rocks«, sagte ich und goss mir ein großes Glas voll ein. Insgeheim fand ich, dass mein Drink optisch nicht sehr viel hermachte. Sei’s drum, dachte ich.

Sepp, Ferry und Jean-Luc schlossen sich mir lachend an.

»Und die Damen?« fragte ich. »Ich hätte auch Wasser. Und ich könnte euch natürlich einen Tee machen. Kamille oder Salbei kann ich anbieten. Gerade hatten wir es ja mit Italien, welch ein Zufall.«

Steffi und Ines entschieden sich für Wasser. Ferrys Verlobte, deren Name ich noch immer nicht kannte, entschied sich für einen Salbeitee. Ich beschloss, sie nach dem Abendessen kurz beiseite zu nehmen und nach ihrem Namen zu fragen.

»Ich kümmere mich schon einmal um unser Essen, während wir den Aperitif nehmen«, sagte ich. »Beziehungsweise stopp, ich sehe gerade, dass wir ja noch gar nicht genügend Stühle haben. Obwohl diese Küchen-Stehpartys ja eigentlich immer die besten Partys sind, nicht wahr?« Alle sahen mich interessiert an. Vermutlich war dies neu für sie. Trotzdem wollte ich das Thema in diesem Moment nicht weiter vertiefen – noch nicht.

Stattdessen sagte ich: »Spätestens zum Essen allerdings brauchen wir die Stühle. Ich hole sie schnell. Lasst euch nicht stören.« Ich holte Klappstühle aus meiner Rumpelkammer und zwei Hocker aus meinem Schlafzimmer. Eine Sitzgelegenheit zu wenig, stellte ich fest.

»Eine Sitzgelegenheit zu wenig«, sagte ich laut, »aber das macht nichts, ich esse im Stehen.« Ich nahm ein gewisses unterschwelliges Schweigen wahr, das sich in diesem Moment über unsere kleine Abendgesellschaft legte.

Dies war der erste kritische Kipppunkt des Abends, doch wie zu erwarten löste ich die Herausforderung auf hervorragende Weise. Ich blickte von einem zum andern, reihum, erst einmal, dann ein zweites Mal, bis ich meinen Blick auf Ferry verharren ließ.

»Wie geht es, Ferry?« fragte ich.

Ich ließ ihn ausreden, bevor ich mich, ohne auf das Gesagte einzugehen, an Ferrys Verlobte wandte: »Und wie geht es dir?« Anschließend fragte ich Ines, Sepp, Jean-Luc und Steffi Schnellsilber nach ihrem Befinden, natürlich jeweils in der von ihnen jeweils bevorzugten Form.

Erst am Ende kam ich auf mich selbst zu sprechen. »Was nun mich selbst angeht: Mir geht es sehr gut in letzter Zeit. Letzten Mittwoch ging es mir nicht so gut. Heute jedoch ist wieder alles okay.«

Sepp, der mir von allen Gästen persönlich am nächsten stand, hatte Rückfragen, die ich aber nicht als indiskret, sondern als wohltuend empathisch empfand. Ich beschloss daher, über seinen vorherigen doppelten Fauxpas hinwegzusehen. Ich wollte nicht nachtragend sein.

Als Sepp nicht mehr weiter fragte, entschied ich, dem Gespräch eine neue, eine hoffentlich erneut wohltuend inspirierende Wendung zu geben. Ich wandte mich an Jean-Luc: »Steffi sagt, es geht ihr gut. Nimmst du ihr das ab? Denkst du, sie spricht die Wahrheit?«

Wie zu erwarten, reagierte Jean-Luc zunächst erstaunt, dann ein wenig grob, dabei aber humorvoll, und es entspann sich für die Dauer von etwa fünf Minuten eine lebhafte Debatte.

Nun wandte ich mich an Ferry: »Deine Verlobte behauptet, es sei alles okay. Siehst du das auch so? Und wenn ja, warum?« Ich hörte, wie Ferry zu sprechen anfing, doch bald hörte ich nicht mehr weiter zu. Im Grunde genommen interessieret mich die Antwort gar nicht. Die Beziehungsinterna der beiden gingen mich nun wirklich nichts an.

Stattdessen überschlug ich, wie lang diese Art der Konversation vorhalten würde. Mich eingeschlossen waren wir zu siebt. Es gab also sieben Fakultät Kombinationen. Sieben mal sechs mal fünf und so weiter. Ich war verblüfft: Ich kam auf 5040 Kombinationen. Wenn man nun davon ausging, dass über jede Befindlichkeits-Auskunftgeber-Feedbackgeber-Paarung im Durchschnitt etwa fünf Minuten debattiert werden konnte, so ergab dies Gesprächsstoff für 25.200 Minuten oder 420 Stunden oder 17,5 Tage. Doch wer wollte schon den ganzen Tag so angeregt debattieren, 24 Stunden lang, wie im Sieben-Tage-Rennen? Deutlich mehr Sinn würde es machen, das Thema auf mehrere Abendsoireen aufzuteilen. Bei fünf Stunden pro Soiree könnten wir 84mal zusammenkommen, ohne dass uns die Themen ausgehen würden und bis wir alle Kombinationen behandelt hätten. Eine Soiree wöchentlich wäre mir zu mühsam, aber alle zwei Wochen, das sollte doch möglich sein. In gut drei Jahren wären wir fertig, und nach drei Jahren konnte sich die Befindlichkeit durchaus geändert haben. Zum Beispiel ging es mir im Moment sehr gut, aber in drei Jahren könnte es mir ausgezeichnet gehen. Nichts spräche also dagegen, nach drei Jahren wieder von vorne zu beginnen. (Erst ein Jahr später bemerkte ich den Fehler in meiner Kalkulation, aber da war es schon zu spät. Natürlich gab es in Wirklichkeit viel weniger Kombinationen, und Gesprächsstoff für allenfalls drei bis vier Stunden. Gut, dass ich mich damals verrechnet hatte, sonst hätte ich womöglich befürchtet, dass uns der Gesprächsstoff ausgehen könnte, und wäre in Panik verfallen. Die ganze Soirée wäre in Gefahr geraten.)

»Wann wollen wir denn eigentlich essen?« Ferrys Frage riss mich aus meinen Gedanken. »Ich muss gestehen, dass ich bereits ein wenig hungrig bin«, fügte er hinzu. Offensichtlich war die Befindlichkeitsdebatte an einen Punkt vorgedrungen, an dem es heikel zu werden drohte. Ferry wollte ablenken, daher sein Manöver.

Ich reagierte zunächst abwartend, doch er beharrte auf seinem Standpunkt. »Ich bin hungrig«, wiederholte er.

»Ich auch«, erwiderte ich. »Ich habe auch schon Hunger.«

»Mir knurrt ebenfalls der Magen«, sagte Jean-Luc, und ich fand es sehr unfein von ihm, mir derart in den Rücken zu fallen.

»Hast du denn noch nichts gegessen?« fragte ich ihn.

»Nein, seit dem Mittag nichts mehr«, antwortete er. So, dachte ich, er hat also extra den ganzen Tag nichts gegessen. Andererseits konnte ich das natürlich auch als eine Art Kompliment auffassen.

»Ich sterbe vor Hunger«, sagte Steffi Schnellsilber und stimmte damit in den Chor der Unfeinen mit ein.

»Bist du direkt vom Sport gekommen?« fragte ich sie.

»Warum, sehe ich etwa so aus?« erwiderte sie, lachte dabei und zwinkerte mir zu.

»Je nachdem«, sagte ich. »Ich habe schon lange keinen Sport mehr gemacht. Was trägt man denn zum Sport heutzutage so?«

»Was hältst du davon, wenn wir jetzt das Essen zubereiten?« fragte Jean-Luc ganz unverblümt »Wir helfen dir gerne dabei. Über Sportbekleidung können wir dann ja während des Essens sprechen.«

»Du hast Recht«, sagte ich. »Ich selbst habe auch schon großen Hunger. Nichts für ungut, aber ich unterhalte mich einfach so gerne mit euch.«

Mit diesen Worten ging ich zum Kühlschrank. Ich entnahm ihm Toastbrot, eingeschweißten Prosciutto – dem günstigen, nicht dass Sie auf falsche Gedanken kommen – und eingeschweißten Schmelzkäse – den original Scheiblettenkäse selbstverständlich, was denken Sie denn. Routiniert schaltete ich den Elektroherd ein. Ich konnte mich nicht mehr genau an die für Toast Hawaii empfohlene Temperatur erinnern. Da mein Herd bis zu 250 Grad schaffte, stellte ich die Temperatur auf 125, also genau auf die Mitte. Das sollte so schon passen, dachte ich. Für einen Augenblick war ich mir nicht mehr ganz sicher, was ich eigentlich als nächstes tun wollte. Daher wandte ich mich wieder meinen Gästen zu.

»Bereits halb zehn«, sagte Ferry, um nach einer ostentativen Pause scheinheilig hinzuzufügen: »Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Kann ich dir vielleicht zur Hand gehen?«

»Du könntest den Tisch decken«, sagte ich generös. »Dort im Schrank findest du Teller. Halt, die beiden Teller aus der Spüle müsstest du eben schnell von Hand abwaschen, denn ich habe nicht so viele Teller. Das macht dir ja sicher nichts aus, du bist doch quasi vom Fach.«

»Wie meinst du das ›vom Fach‹?« fragte er mich erstaunt, aber er lachte dabei.

»Naja, du reinigst doch sicherlich ab und an deine Stethoskope, das Spritzbesteck, deine Sägen…«

»Das schon«, gab er zu. Na also. Ich wusste nicht mehr genau, ob Ferry Internist oder Chirurg war. Deshalb hatte ich zur Sicherheit auch die Sägen erwähnt, das war mir gerade noch rechtzeitig eingefallen. Offenbar hatte ich damit mal wieder goldrichtig gelegen.

»Apropos Besteck«, sagte ich. »Ich habe leider nur vier Messer und vier Gabeln. Ferry und Verlobte, Ines und Sepp, könntet ihr euch vielleicht ein Besteck teilen? Also natürlich eines pro Paar jeweils.« Sie sahen sich paarweise an, innig und verliebt. Mir wurde dabei ganz warm ums Herz.

Ich war nun dabei, das Toastbrot auf dem Backblech zu verteilen und Prosciutto und Schmelzkäse darauf zu drapieren, wurde aber erneut unterbrochen.

»Was gibt es denn Gutes?« fragte Ferrys Verlobte neugierig.

»Toast Hawaii«, sagte ich, bevor ich eine wirkungsvolle Pause setzte. Ich ließ meiner Menü-Verkündung den nötigen Raum, um ihre Wirkung zu entfalten, bevor ich hinzufügte: »Ich dachte, wir sollten heute Abend der Generation unserer Eltern eine Reminiszenz erweisen. Nicht alles damals war schlecht, auch wenn es noch kein Internet gab. Toast Hawaii zum Beispiel, das war immer super.«

»Das gab es bei uns nie«, sagte Ferrys Verlobte brüsk und naserümpfend und beinahe ein wenig unverschämt. Gerade noch rechtzeitig fuhr sie schmeichlerisch fort: »Ich bin so gespannt, wie das schmeckt. Bestimmt ist es himmlisch.« Die anderen Gäste stimmten ihr in stummem Einvernehmen zu, das konnte ich in meinem Rücken deutlich spüren.

»Ist eigentlich jemand von euch Vegetarier oder Veganer?« fragte ich, denn selbstverständlich war ich auf der Höhe der Zeit.

»Ja, ich«, sagte Ines.

»Vegetarisch oder vegan?« fragte ich.

»Beides«, sagte sie.

»Du musst dich schon entscheiden«, ermahnte ich sie gutgelaunt.

»Dann vegan«, sagte sie.

»Wenn das so ist, dann müssen wir bei dir den Prosciutto und den Käse weglassen«, sagte ich.

»Oh«, sagte sie. »Aber, und bitte entschuldige meine naive Frage, was bleibt dann noch?«

»Fast hätte ich es vergessen«, rief ich. »Die Ananas!« Hastig öffnete ich die Schranktür zum Vorratsfach meiner schlichten Einbauküche. Ich fand zwei Dosen mit Ananas, leider in Stücken statt in Scheiben, und zog sie hervor. Auch mein Dosenöffner funktionierte noch, obwohl ich ihn bereits seit mehreren Jahren nicht mehr benutzt hatte, denn ich kochte sonst überwiegend mit frischen Zutaten, etwa mit Obst und Gemüse.

»Ein Gedicht«, sagte Ines, als das Essen auf dem Tisch stand, etwa gegen halb elf. Sie aß im Stehen, denn sie hatte mir ihren Platz überlassen. Erst hatte ich höflich dankend abgelehnt, aber sie hatte insistiert (»Bist du sicher?«) und so hatte ich ihren Hocker übernommen.

»Wahrlich«, sagte Jean-Luc, der bereits bei seinem dritten Toast Hawaii war. Eigentlich hatte ich mit zwei Toasts je Person kalkuliert, also nicht mit Jean-Lucs berüchtigtem Heißhunger gerechnet. Doch wenn ich es recht bedachte, dann war ich selbst auch noch nicht satt. Also lud ich mir meinen vierten Toast auf den Teller, den letzten, der noch auf dem Blech verblieben war – keine Sekunde zu spät, denn Jean-Luc hatte die Hand ebenfalls schon ausgestreckt.

»Hast du vielleicht ein frisches Glas für mich?« fragte Ferry, der gerade seinen Aperol ohne Eis ausgetrunken hatte. »Ich glaube, ich steige auf Wasser um. Oder hast du vielleicht etwas anderes?«

Dabei fixierte er die Flasche Wein, das Gastgeschenk von Steffi Schnellsilber. Der Rotwein war jedoch ein Geschenk für mich. Es schien sich um einen teuren Barolo zu handeln.

»Wasser ist gut«, sagte ich.

»Hast du Wein?« fragte Ferry, nun ganz direkt.

»Ich habe leider keinen Korkenzieher im Haus«, log ich. »Der letzte ist mir kürzlich kaputt gegangen.«

»Hast du ein Messer? Ich bekomme ihn schon auf«, insistierte Ferry.

»Barolo passt nicht«, erwiderte ich.

»Und die andere Flasche hier? Was ist das – ein Chianti?« Diese hatte ich gar nicht gesehen. Vermutlich handelte es sich dabei ebenfalls um ein Gastgeschenk.

»Würde ich nicht empfehlen«, sagte ich. »Sieht aus wie ein Kochwein.« Jean-Luc verzog für einen kurzen Moment das Gesicht und war schon im Begriff, etwas zu sagen. Wahrscheinlich war der Wein von ihm. Bevor er etwas sagen konnte, fuhr ich fort: »Ich habe gehört, zum Kochen soll man nur erstklassigen Wein verwenden. Also auf keinen Fall einen schlechteren Wein als den, den man auch trinken würde. Und deshalb finde ich, das ist ein Kochwein.«

»Und was ist mit dem frischen Glas?« fragte Ferry weiter.

»Ich spüle es dir schnell aus.« Ich entriss Ferry sein Glas, hielt es kurz unters laufende Wasser, und stellte es zurück vor ihn auf den Tisch. »Ach ja, du wolltest ja Wasser – hier, bitte schön.« Im Handumdrehen hatte ich sein Glas mit Leitungswasser gefüllt und wieder auf den Tisch gestellt.

Doch sogleich besann ich mich auf meine gute, gastfreundliche Kinderstube: »Und vielleicht machen wir den Chianti auf. Ferry, könntest du bitte? Wer möchte?«

»Wo hast du eigentlich diese schönen Schirmchen her?« fragte mich jetzt seine Verlobte und deutete auf die Garnierung der Hawaii-Toasts.

»Schön, dass sie dir aufgefallen sind!« sagte ich erfreut. »Darauf habe ich viel Mühe verwendet. Der Stiel ist aus organischem Bambus, und das Papier des Schirms ist ebenfalls Bio. Beides bekommt man in einem japanischen Laden in der Nähe des Gärtnerplatzes. Der Laden ist auf hochwertiges Papier spezialisiert. Dort habe ich übrigens auch das Papier für die Einladungskarten gekauft. Den Lavendel bekommt man in Haidhausen, und die dreiblättrigen Kleeblätter in einer Gärtnerei in Nymphenburg. Sie sind genbehandelt, um sicherzustellen, dass sie immer drei-, nie aber vierblättrig sind. Nicht ganz billig, aber die Qualität reißt es raus.«

»Und das hast du alles letzte Woche besorgt? Und dann eigenhändig zusammengestellt?«

Ich nickte stolz.

Da begann Ines, vor uns ihre flexitarischen Ernährungsgewohnheiten auszubreiten. Sie bekannte, gelegentlich Eier und Milch zu konsumieren, meist im Ausland und wenn es sich nicht vermeiden ließ. Alle waren begeistert.

Mit Blick auf die letzten Endes dann doch nicht zu vermeidende zweite Runde Toast Hawaii startete sie noch einmal einen schüchternen Versuch und fragte, ob ich nicht zufällig vegane Brotaufstriche im Kühlschrank habe, die sie für ihre vegane Variante benutzen könne. Ich verneinte. Olivenöl auch nicht? Erneut verneinte ich. Vielleicht etwas Gemüse? Eine Tomate wäre völlig ausreichend?

Ich schüttelte den Kopf und eröffnete schnell das nächste Gesprächsthema, die in drei Jahren anstehenden Bundestagswahlen. Ich bemerkte, wie die anderen indigniert den Kopf gesenkt hatten. Offenbar war ihnen Ines‘ Insistieren peinlich. Aber eigentlich gab es nun wirklich keinen Grund, sich für Ines zu schämen, dachte ich großzügig, schließlich fragte sie ja nur. Das war schon in Ordnung.

Zunächst verlief die Diskussion zur Bundestagswahl etwas schleppend, und mehrmals versuchten Jean-Luc und Ferry, ein anderes Thema aufzubringen. Erfolgreich parierte ich diese Versuche und lenkte auf das Ausgangsthema zurück, denn eine Abendsoiree ohne ein Gespräch über Politik entsprach nicht meinen Vorstellungen. Bald schon sprang die Unterhaltung von einem politischen Thema zum nächsten, was nun wirklich ein gutes Zeichen war. Auch die künftigen Land- und Bezirkstagswahlen wurden angerissen, die letzte Bundesversammlung, die Stadtrats- und Bürgermeisterwahl und schließlich die nächste Pfarrgemeinderatswahl in München-Schwabing.

»Vielleicht lassen wir das Politisieren«, sagte ich plötzlich. »Schließlich steht der Abend ganz unter dem Motto einer formlosen Soiree. Darf ich fragen wohin es diesen Sommer in den Urlaub geht, Ferry?«

Bevor dieser antworten konnte, hob Jean-Luc die Hand: »Ist vielleicht noch etwas da? Hast du noch einen Toast für mich? Oder etwas anderes?«

Das war der Moment, an dem ich erleichtert aufatmete. Zur Sicherheit hatte ich Götterspeise fürs Dessert besorgt. Ich dankte Gott für meinen Weitblick. Ich hatte aus Gerechtigkeits- und aus Stilgründen sogar penibel darauf geachtet, dass alle sieben 150-Gramm-Becher der Marke »Hephaistos« dasselbe Verfallsdatum aufwiesen, aber dies möchte ich nur am Rande erwähnt haben, damit Sie eine bessere Vorstellung bekommen.

Ines und Sepp jedoch lehnten ab. Sie verwiesen auf die Weintrauben, die sie als Gastgeschenk mitgebracht hatten. Die aber wollte ich lieber am nächsten Tag essen.

»Weintrauben passen nicht zur Jahreszeit«, sagte ich. »Götterspeise ist perfekt. Eine für jeden. Wer möchte?«

»Nach dem Essen, Zähneputzen nicht vergessen«, sagte Jean-Luc eine halbe Stunde später, und sah dabei die Schnellsilber angriffslustig an, bevor er mich wieder ins Auge fasste. »Hast du bitte eine Zahnbürste für mich?«

Kurz war ich perplex. »Lass mich nachsehen, ich habe bestimmt noch eine«, erwiderte ich. »Einen Moment. Ihr könnt ja vielleicht schon einmal den Tisch abräumen in der Zwischenzeit.« Ich fragte mich, ob Jean-Luc ernsthaft vorhatte, sich bei mir die Zähne zu putzen.

Da rief Ferry Fischbeins Verlobte auch schon: »Wir bräuchten bitte auch eine Zahnbürste. Aber wir können uns eine teilen, Ferry und ich. Eine reicht für uns beide.«

»Wir teilen auch«, riefen die ter Steks. »Weiche Borsten, und wenn es geht in gelb.«

Wo um alles in der Welt sollte ich auf einmal so viele Zahnbürsten hernehmen? Ich entschloss mich zur Flucht nach vorn. »Habt ihr denn keine Zahnbürste mitgebracht?«

»Das stand nicht in der Einladung«, sagte ter Stek. »Außerdem ist das doch völlig abwegig, bitte entschuldige. Das ist ja gerade so als hättest du erwartet, dass wir auch das Toastbrot und den Käse mitbringen.«

»Naja, bei Sonderwünschen hätte ich das ehrlich gesagt schon erwartet«, sagte ich freundlich, aber auch mit einer gewissen Offenheit. »Zum Beispiel, falls du nun ausschließlich Romadur-Käse isst, aber gar keinen anderen Käse, dann wäre es natürlich schon besser gewesen, du hättest den Romadur selbst mitgebracht.«

»Romadur mag ich überhaupt nicht«, sagte ter Stek, aber bevor er weitersprechen konnte, fiel ihm seine Frau ins Wort.

»Ich liebe Angebatzten«, sagte sie.

»Weißt du was«, sagte die Schnellsilber, »ich nehme einfach deine Zahnbürste. Wird schon nicht so schlimm sein. Dein Gebiss kenne ich ja, da habe ich schon Schlimmeres gesehen. Hast du zufällig Tomatensaft?«

»Wozu das denn?« fragte ich höflich.

»Na, zum Zähneputzen. Solltest du auch mal versuchen. Also?«

An dieser Stelle räkelte sich Ferrys Verlobte, gähnte, und sagte: »Ich bin müde. Ich denke, ich muss langsam schlafen gehen.«

»Schläfst du denn nicht zuhause?« fragte ich.

»Nein, wir schlafen heute bei dir«, antwortete Ferry an ihrer Stelle. »Sie muss nun wirklich bald ins Bett. Es ist spät.«

»Das stimmt«, pflichtete sie ihm bei. »Ich muss langsam schlafen gehen.«

»Ich auch«, sagte ich schnell.

»So war das nicht gemeint«, rief sie empört aus.

»Von mir auch nicht«, beeilte ich mich zu erwidern. »Ich meinte nur, es wird langsam Zeit aufzubrechen. Es war ein schöner Abend.«

»Wo gehst du denn noch hin?« fragte Sepp.

»Ich? Nirgends. Und ihr?«

»Wir auch nicht.«

»Ach so.«

Da kam Ochsenbogen vom Zähneputzen zurück. »Hast du eventuell einen Pyjama für mich? Normalerweise bin ich Nacktschläfer, aber in einem fremden Bett möchte ich dann doch lieber einen Pyjama tragen.«

»Das Schlafzimmer gehört bereits mir«, sagte Steffi Schnellsilber. »Aber du kannst sicher im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen.«

»Und ich?« wagte ich einzuwerfen.

»Na gut, Jean-Luc kann bei mir schlafen«, sagte die Schnellsilber.

»Prima, dann nehmen wir das Wohnzimmer!« riefen die ter Steks schnell.

»Und wegen uns brauchst du dir eh keine Sorgen zu machen«, sagte Ferry. »Ich schlafe in der Badewanne.«

»Ich habe keine Badewanne«, sagte ich. »Nur eine Dusche.«

»Das geht auch«, sagte Fischbein. »Du musst wissen, meine Verlobte und ich, wir schlafen getrennt, weil ich so laut schnarche.«

Seine Verlobte unterbrach ihn: »Ich kann im Flur schlafen. Wenn du vielleicht eine Decke hast?«

»Moment, und was ist mit mir?« fragte ich.

»Du wolltest doch noch ausgehen?« fragte Ochsenbogen zurück. »Mach’ dir keine Sorgen wegen des Abwaschs. So viel ist es ja eh nicht, das machen wir morgen früh. Wo wolltest du eigentlich noch hingehen?«

»Kommst du denn mit?« fragte ich, und legte dabei ein wenig mehr Hoffnung in meine Stimme, als ich dies beabsichtigt hatte.

»Das nicht«, sagte er. »Ich bleibe hier. Ich habe nur aus Interesse gefragt. Ein wenig schade ist es ja schon, dass du uns jetzt schon verlässt. Andererseits sind wir alle bereits ziemlich müde und werden bald schlafen gehen. Es war ein schöner Abend, aber jetzt wird es Zeit für uns. Nur eines noch: wann gibt es morgen Frühstück?«

Im Rückblick komme ich nicht umhin, dieses Abendessen als einen Erfolg auf ganzer Linie zu werten, eben weil die Soirée nicht einer steten und erwartbaren Spannungskurve gefolgt war, sondern mit überraschenden Auf- und Abwärtsbewegungen, potenziellen Kipppunkten und leidenschaftlichen Diskussionen aufgewartet hatte. Man hatte sich angeregt unterhalten. Alle hatten sich wohlgefühlt, und darauf kam es am Ende doch an. Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter – ich war ein talentierter, ja sogar ein hervorragender Gastgeber. Ich nahm mir vor, bald wieder eine Abendgesellschaft zu geben. Was die Gäste und was die kulinarische Form meines Aufwartens anging, so schwebte mir da bereits etwas ganz Besonderes vor.


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