»Eine Sache noch«, sagte mein Kunde, nachdem wir etwa zwei Stunden lang gemeinsam die Präsentation für den nächsten Tag durchgearbeitet hatten. Unser Telefontermin war ursprünglich nur auf eine Stunde angesetzt gewesen, aber dann hatte es ein wenig länger gedauert. Im Prinzip sei ja alles schon da und auf einem sehr hohen Niveau, meinte er. Vor mir lag nun nur noch die Überarbeitung einiger ausgewählter Folien – möglicherweise dreißig, höchstens vierzig.
»Ja?« fragte ich zuvorkommend.
»Wenn Sie bitte morgen zur Präsentation ein halbes Pfund gehackte Leber mitbringen könnten, das wäre fantastisch. Ich möchte abends kochen.«
»Huhn oder Kalb?« fragte ich. Ich hoffte, er würde Huhn sagen, das wäre günstiger.
»Gänseleber«, sagte er.
»Das Timing ist etwas knapp«, sagte ich.
»Kann ich mich auf Sie verlassen, Bernscheidt?«
»Ich will ganz offen zu Ihnen sein, Herr Dr. Ochsenbogen. Gänseleber mag ich nicht. Einigen wir uns auf Kalbsleber, in Ordnung?«
»Na gut, ich will ausnahmsweise mal nicht so sein. Ich kann mich also auf Sie verlassen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte ich verbindlich. »Zu einhundert Prozent.«
Einmal in Fahrt gekommen, fuhr er nun fort. »Außerdem brauche ich Zwiebeln, einen Bund Petersilie, fünf Eier – Bio oder Boden-, aber keinesfalls Freilandhaltung. Und eine Packung Knödelbrot.«
»Das ist unmöglich«, sagte ich. »Damit überstrapazieren Sie meine Hilfsbereitschaft. Bedenken Sie, dass ich bis morgen Vormittag noch etwa fünfzig Folien auf Vordermann zu bringen habe. Um elf ist der Termin, oder?«
»Na gut, dann starten wir einfach ein wenig später. Starten wir um viertel nach elf, das reicht.«
»Aber Ihre Geschäftsführung hat im Vorfeld signalisiert, dass sie nur bis zwölf verfügbar sind. Und mit fünfzehn Minuten weniger komme ich nicht hin.«
»Streichen Sie einfach das erste Viertel Ihres Foliensatzes. Das merkt niemand. Es hört eh niemand zu.«
»Ach so«, sagte ich. »Dennoch, eine Packung Knödelbrot ist zu viel. Ich kann Ihnen höchstens eine halbe Packung zusagen.«
»Na gut. Wenn Sie aber glauben, dass ich mit Ihnen zu feilschen anfange, dann liegen Sie falsch. Dann mache ich eben nur halb so viele Semmelknödel. Das ist zwar weniger als geplant, aber immer noch mehr, als wenn ich gar keine Knödel machen würde, sondern, und dies nur als Beispiel, Spiegeleier. Ich sage das auch mit Blick auf Ihre Präsentation morgen, damit Sie verstehen, in welcher Logik ich denke. Dafür gehen Sie aber gleich noch beim Kaufhaus Beck vorbei und kaufen mir eine dunkelgrüne Krawatte.«
»Verzeihen Sie bitte – geht gegebenenfalls auch lindgrün?«
»Machen Sie keine dummen Witze. Dunkelgrün, sage ich. Einfarbig. Querstreifen sind tabu, Pünktchen ebenfalls, aber ein baumhaftes, beispielsweise tanniges Muster, das wäre in Ordnung. Oder einfach glattblau.«
»Sie sagten Grün?«
»Seien Sie nicht schon wieder so wortklauberisch. Das war doch nur als Beispiel gemeint, damit Sie die Logik verstehen, in der ich denke.«
»Ach so. Selbstverständlich, Herr Dr. Ochsenbogen, ich denke ich verstehe jetzt, wie Sie es gemeint haben.«
»Noch etwas, Bernscheidt. Für sich selbst kaufen Sie dunkelblaue Unterwäsche. Darauf steht unsere Geschäftsführung ungemein.«
»Gut, das mach’ ich«, sagte ich. Im selben Augenblick stutzte ich: »Aber wozu? Die sieht doch niemand, wie ich wohl zu hoffen vermeinen darf?«
»Stellen Sie nicht immer alles in Frage. Es spielt keine Rolle, ob man Ihre Unterwäsche sieht. Dennoch – dunkelblaue Unterwäsche und nichts anderes, das ist ein Befehl… so meinte ich das natürlich nicht, entschuldigen Sie. Ich meinte, das ist mein unausgesprochener Wunsch.«
»Ihr ausgesprochener Wunsch?«
»Nein. Unausgesprochen. Ich habe nichts gesagt.« Ich konnte direkt durchs Telefon hindurch spüren, wie er mir verschwörerisch zuzwinkerte.
»Gut. Verbindlichsten Dank, Herr. Dr. Ochsenbogen.« Ich wagte es nicht, weiterzusprechen, denn ich war mir beinahe sicher, dass er mir sonst noch weitere Aufgaben für den morgigen Tag auferlegen würde. Eine unangenehme Stille trat an die Stelle unseres bis hierhin so lebhaften Austauschs.
Doch diese Stille hielt nicht lange an und Dr. Ochsenbogen hob erneut an: »Noch etwas, Bernscheidt. Wären Sie vielleicht so freundlich, beim Porschehändler in der Schwere-Reiter-Straße vorbeizufahren? Ich interessiere mich bereits seit längerem für den neuen Cayenne, nur kam ich bisher noch nicht dazu, eine Probefahrt zu machen. Könnten nicht Sie das für mich übernehmen?«
Ich spürte, wie ein gewisser Widerwille in mir hochstieg. Was bildete er sich denn ein? Ich war doch nicht sein Laufbursche.
Da kam mir ein rettender Gedanke. »Sie meinen, ich soll für Sie die Probefahrt machen? Haben Sie denn einen Termin vereinbart?« fragte ich.
»Das nicht«, erwiderte er. »Aber man kennt mich dort. Sie müssen nur überzeugend auftreten. Sie könnten zum Beispiel diese Krawatte tragen, von der wir eben gesprochen haben. Oder Sie drohen damit, sich in den Verkaufsraum zu stellen und laut zu schreien, bis man Ihrem Wunsch nachkommt. Wie gesagt, es sollte kein Problem sein. Man kennt mich dort.«
»Das glaube ich gern«, dachte ich, sagte es aber glücklicherweise nicht laut. Ich begann, nervös zu werden. Ohne Termin beim Porschehändler aufzutauchen und eine Probefahrt anzumahnen, das widerstrebte meinem zurückhaltenden Naturell. Und ein zweites Mal sagte ich mir, dass ich mich nicht in dieser Form von Dr. Ochsenbogen einspannen lassen durfte, wenn ich weiter mein Gesicht wahren wollte.
»Es tut mir Leid, Herr Dr. Ochsenbogen, aber ich kann das unmöglich für Sie tun. Sie wissen, ich tue alles für Sie, aber das nicht. Außerdem gefällt mir der Cayenne überhaupt nicht.«
»Na gut, Bernscheidt. Die Geschmäcker sind verschieden. Aber hören Sie, seien Sie doch so gut und fahren Sie noch zu diesem wunderbaren Floristen in Altperlach. Geben Sie für morgen früh ein Bouquet im Wert von etwa 53 Euro in Auftrag. Sie können es dann kurz vor dem Termin abholen, sagen wir gegen 10 Uhr 38. Dafür starten wir auch erst um viertel nach elf, so haben Sie genügend Zeit.«
»Für wen ist das Bouquet? Und kann ich es eventuell auch telefonisch bestellen?«
»Nein, da wird nichts telefonisch bestellt. Sie fahren dorthin und geben es vor Ort in Auftrag. Offiziell ist es für meine Frau, falls jemand fragt.«
Nachdem ich ihm bezüglich der Probefahrt so deutlich seine Grenzen aufgezeigt hatte, wurde ich nun mutig. Ich fragte: »Gibt es sonst noch etwas, das ich für Sie tun könnte, Herr Dr. Ochsenbogen?«
»Haben Sie morgen Abend schon etwas vor?« fragte er zurück. »Denn wenn nicht, dann könnten Sie vielleicht ja mit meiner Frau zum Essen gehen. Rein geschäftlich, versteht sich. Ein Geschäftsessen.«
»Und Sie?« fragte ich.
»Ich bin morgen Abend leider verhindert«, sagte er. »Migräne. Sie wissen schon, das alte Leid.«
»Oh ja, ich verstehe. Es tut mir leid das zu hören, Herr Dr. Ochsenbogen. Ich wünsche Ihnen eine gute Besserung!«
»Noch habe ich keine Migräne. Morgen, erst morgen. Aber vorher freue ich mich noch auf Ihre Präsentation. Wissen Sie schon, was das Thema sein wird?«